Bericht, Fragen (von einigen Besuchern) und Antworten aus meiner Sicht: Brigitte Schmidt, terraplana-Mitglied, archäologisch interessiert, Rentnerin, hat ja Zeit…

Initiator war der Biebesheimer Heimatforscher Albert Geipert, terraplana-Mitglied. Er hatte mit dem Landwirt, auf dessen Gelände sich der Kreisgraben befindet, gesprochen, hatte auch die Genehmigung des Pächters, organisierte (für terraplana kostenlos) den Bagger, einen Bauwagen, einen Tisch und 2 Bänke und kam jeden Tag vorbei mit ein paar Bierchen, um den Fortschritt der Grabung zu inspizieren. An ihn ein ganz herzliches Dankeschön!!!

Bekannt war die Stelle schon lange (und wurde u.a. dokumentiert durch tolle Luftbilder, die unser terraplana-Mitglied Dennis Braks mit seiner Drohne/ Quadrokopter gemacht hatte). Der Ringgraben ist durch „positive Bewuchsmerkmale“ in diesem trockenen Sommer besonders gut zu erkennen gewesen: Das Getreide stand auf dem Ring ca. 25 cm höher als an benachbarten Stellen. Dadurch war es auch gut vom nahen Deich an der Modau aus zu sehen, wie mir ein junger Landwirt berichtete.

Erklärung:

Der Kreisgraben wurde in prähistorischer Zeit (z.B. in der Bronzezeit oder der Eisenzeit – wann genau lässt sich mitunter durch die Grabung klären) von Menschen ausgehoben. Der Graben war tiefer als der Pflughorizont, also die Tiefe, die beackert wurde und reichte in die darunter liegende recht unfruchtbare Sandschicht. Im Laufe der Zeit wurde dieser Graben durch Erosion der Umgebung wieder verfüllt, und zwar mit fruchtbarem, humosem Lehm. Wächst nun Getreide auf diesem Acker, so können die Wurzeln im ehemaligen Graben viel tiefer in fruchtbaren Boden hinunterwachsen als nebenan und die Pflanzen wachsen dadurch höher. Außerdem speichert der Lehm länger Feuchtigkeit als der Sandboden; die Halme bleiben länger grün und verdorren nicht so schnell. So lassen sich am Ende der Reifezeit von Getreide diese Unterschiede in Wachstumshöhe und Farbe besonders gut erkennen. Da Getreide höher wächst und die Pflanzendichte pro qm höher ist als bei anderen Kulturen, lassen sich diese „positiven Bewuchsmerkmale“ besonders gut auf Getreidefeldern und in trockenen Sommern wie der von 2015 ablesen.

Aber wozu haben unsere Altvorderen einen Kreisgraben „gebuddelt“?

Erklärung:

Zuerst war da ein Grab. Ein Stammesfürst, der Führer einer Großfamilie, ein Clanchef – oder wie immer man ihn nennen mag, war verstorben. Er musste unter die Erde, entweder in einem Körpergrab (manchmal in einer hölzernen Grabkammer), in einer Urne oder als Leichenbrand verstreut… Aber nicht einfach so. Man musste ein Zeichen setzen zur Erinnerung an den Ahnen, für sich selbst, aber auch, um den Nachbarn zu imponieren und die Macht des Clans sichtbar zu machen. Darum häufte man viel Erde über das Grab. Zuerst legte man die Größe fest, indem man einen Ring zog (in unserem Fall mit dem Durchmesser von 22 -25 m), den Kreis als Graben aushob und den Aushub dann auf den Toten häufte. Dann wurde der Hügel durch weitere Erde erhöht, was mehrere Meter hoch sein konnte. So ein Grabhügel konnte noch eine Umgrenzung („Heiliger Bezirk“) durch eine Steinreihe oder eine Palisade bekommen; manche trugen auf ihrem höchsten Punkt noch einen Menhir o.ä. Oft gab es aber auch Nachbestattungen, so dass seitlich im gleichen Hügel, aber meist nicht auf der gleichen Ebene, weitere Personen bzw. Urnen nachbestattet wurden.

Wo ist denn der Hügel geblieben???

Erklärung:

Der Zahn der Zeit nagt auch an Grabhügeln! Der Hügel wurde abgetragen, z.T. durch natürliche Erosion: Der Wind weht Erde fort, der Regen lässt Erde abrutschen (auch in den Graben hinein), Tiere durchwühlen das Ganze. Wenn der Rhein sein Flussbett verlagerte, hat er sicher auch ab und zu mal einen Grabhügel mitgerissen. Der größte Feind aber war schließlich der Pflug und der Mensch, dem der Hügel in seinem Acker im Weg war – so wurde der Grabhügel immer mehr abgekratzt und schließlich weggepflügt, die Erde auf dem ganzen Acker verteilt. Das hat Jahrhunderte gedauert. Nur wo seit 1000 oder 2000 Jahren Wald wächst, nicht gepflügt wurde, dort konnten sich die Grabhügel erhalten, wie in Wäldern bei Gernsheim und Groß-Gerau. Übrigens ist es nicht nur ein Hügel, sondern in der näheren Umgebung sind ca. 17 Stück gewesen! (Aussage von Herrn Klausmann, Grabungstechniker der hessenARCHÄOLOGIE aus Darmstadt.)

Außer den auffälligen Kreisen zeigten die Luftaufnahmen noch etliche kleinere dunkle Flecken auf dem Acker. Um wenigstens einen davon untersuchen zu können, sollte der Schnitt gleichzeitig durch den Graben und einen eng daneben liegenden „Fleck“ gehen.

 

1.Grabungstag: Montag, 5.10.2015

10.00 Uhr – schnittfester Nebel! Herbst!

Die vorher festgelegten 4 Messpunkte sind kaum zu erkennen. Zuerst wird der Standpunkt des Messgerätes bestimmt (Koordinaten), dann der vorher berechnete Schnitt durch den Hügel gemessen und auf dem Acker markiert. Mit etwas Phantasie erkennt man sogar an der helleren Farbe der Getreidestoppeln noch den Kreis.

11.00 Uhr – der Nebel ist lichter geworden.

Der Bagger ist angerollt und schiebt an der markierten Linie einen etwa 2m breiten Streifen des Mutterbodens ab. Darunter kommt heller Sand zum Vorschein – Achtung – aber nicht überall: ein dunkler Streifen zieht sich genau dort entlang, wo der Kreisgraben liegt! Der erste Erfolg.

12.00 Uhr – Der Bauwagen wird gebracht.

Kurze Zeit später kommt Herr Geipert mit Anhänger und bringt eigenhändig Tisch und Bänke. Zeit für eine Pause und ein Schwätzchen.

Jörg Lotter hat eine Suchgenehmigung vom Landesdenkmalamt. Er begeht in der Pause das Feld mit geübtem Auge und einem Metalldetektor. Er findet einen kaputten Blechknopf aus dem letzten Jahrhundert, den Rest einer Patrone eines Jägers – und dann fast in der Mitte des ehemaligen Hügels ein Stück eines Armreifens aus Bronze, ca. 10 cm unter der Oberfläche, schön grün korrodiert, schlicht, ohne Muster. Was sagt uns das? Der Armreifen könnte der Rest eines Grabes sein, das jedoch inzwischen durch Pflugtätigkeit völlig zerstört ist. Zeitstellung: Bronzezeit oder Eisenzeit, also vielleicht 3000 bis 4000 Jahre alt! Vielleicht stammt der Armreifen aus der ältesten Zentralbestattung im Hügelgrab, vielleicht aber auch aus einer der späteren Nachbestattungen. Der Fund wird eingetütet, beschriftet, eingemessen und demnächst mit allen anderen Funden der hessenARCHÄOLOGIE übergeben.

Hallo Raubgräber! Ihr könnt gerne mal über das Feld laufen, aber ihr werdet Pech haben, denn wo Jörg Lotter mal gesucht hat, werdet ihr nichts mehr finden!!!

Jetzt wird es aber Zeit! Jetzt wird in die Hände gespuckt und zu Schaufel und Abzieher gegriffen. Die Grabungsflächen werden schön sauber abgezogen, „geputzt“, d.h., wir machen ein „Planum“. Es gibt einen südlichen Aushub, durch die der Kreisgraben geht (Fläche 2) und gegenüber eine nördliche Fläche, durch die die gegenüberliegende Seite des Kreisgrabens (Fläche1) führt sowie die Fläche 3, der „dunkle Fleck“ direkt neben dem Kreisgraben. 
Die Kreisgrabenabschnitte (Flächen 1 und 2) sehen aus wie erwartet, während die Fläche 3 außergewöhnlich wirkt. Rechteckig (ca. 1m x 1,20m) mit abgerundeten Ecken, sehr saubere Kanten. Was war das???

Nun kommt wieder das Messgerät zum Einsatz. Die Grabungsflächen und die auffälligen Befunde werden genau eingemessen. Danach wird alles fotografiert.

16.00 Uhr - Schluss für heute!

2. Grabungstag: Dienstag, 6.10.2015

9.00 Uhr Treffpunkt.

Heute kein Nebel, dafür etwas Regen. Am Auto stellen wir, gut sichtbar für alle Spaziergänger, 2 Terraplana-Poster hin über Luftbildarchäologie. Dennis Braks lässt seinen Quadrokopter (Drohne) über dem Grabungsgelände fliegen und macht schöne Aufnahmen. Herr Klausmann, Grabungstechniker der hessenARCHÄOLOGIE, begutachtet die Grabung.

In der Grabungsfläche 2 (südlicher Kreisgraben) wird ein tiefer Schnitt ca. 1m tief gemacht, so dass man das Profil erkennen kann – eine Knochenarbeit, denn zuerst muss man durch den festen Auenlehm….

Die Grabungsfläche 3 (rechteckige Fläche) wird zur Hälfte ausgehoben, so dass man auch hier gut das Profil erkennen kann.

Immer wieder kommen ein paar Biebesheimer und Stockstädter vorbei, die sich für die Grabung interessieren. Einige lassen sich auf den Bänken nieder und fachsimpeln. Die meisten Gespräche kommen irgendwann zum Thema Nibelungenschatz! Hier hat es mal eine Ortschaft namens „Lochheim“ gegeben, die zur Wüstung wurde – und genau hier soll mal der Rhein geflossen sein und genau hier soll einst Hagen den Nibelungenschatz im Rhein versenkt haben. Ob wir denn den Nibelungenschatz suchen? Ob wir schon das Rheingold gefunden hätten? Nein, das suchen wir nicht, das werden wir auch hier nicht finden…. Aber statt auf Rheingold zu stoßen, mussten wir uns mit Rheinweiß abplacken!

Erklärung:

Rheinweiß ist eine Bodenbesonderheit unserer Gegend – die Bauern hassen es! Es handelt sich um betonharte Schichten von mehreren cm Mächtigkeit, aber auch um knochenharte handgroße und kleinste Platten mit vielfältigen Formen. Die kleineren Stücke ähneln Lößkindeln und haben auch eine ähnliche Entstehungsgeschichte:

Der Rhein und der Neckar (dessen Mündung in den Rhein sich mehrfach bis in unser Gebiet verlagert hat) haben kalkhaltige Schotter abgelagert. Aus diesen Schottern und Sanden wurde ein Teil des Kalkes gelöst. Im ehemaligen Grundwasserhorizont, wo Wasser verdunstete, verfestigte sich der Kalk mit dem anstehenden Sand und bildete harte Knollen bzw. Bänke. Da der Grundwasserhorizont in den letzten Millionen Jahren immer wieder schwankte, bildeten sich oft mehrere Schichten übereinander. Pflanzen können diese sogenannte Rheinweißschicht nicht mit ihren Wurzeln durchwachsen, so dass die Pflanzen nicht mehr bis ans Grundwasser gelangen. Auch wir stießen auf diese Schichten…

Die Menschen, die die Hügelgräber gebaut hatten, haben den Kreisgraben so weit eingetieft, dass die Sohle des Grabens knapp über der ersten Rheinweißschicht lag. (Die waren ja nicht blöd!) Die Menschen, die die seltsame rechteckige Grube (Fläche 3) gegraben haben, haben mindestens 2 dicke Rheinweißschichten durchstoßen, bevor sie auf der 3. Schicht aufhörten. Dabei haben sie eine Menge Sand ausgehoben. War es also eine Sandentnahmegrube? Später wurde die Grube wieder verfüllt, und zwar unregelmäßig mit Lehm und Sand, vielleicht hat sie auch eine Weile leer als Grube existiert, Regen schwemmte Sand und Lehm ein, schließlich wurde sie zugefüllt. Ein paar Ziegelfragmente und kleine glasierte Scherben von „Bauernkeramik“ zeigen, dass diese Grube recht neu ist, vielleicht aus dem 19. Jh. stammt.

Heute Abend sind wir 1 Pfund schwerer als morgens: So viel Lehm klebt an unseren Stiefeln!

3. Grabungstag, Mittwoch, 7.10.2015:

Das Wetter ist o.k., der Boden abgetrocknet. Wenn wir heute Abend schwerer sind als morgens, beruht das auf Muskelaufbau! Eine Reporterin und ein Pressefotograph vom Riedecho lassen sich die Grabungen erklären und die Funde zeigen. Als sie wieder weg sind, geht die Arbeit weiter. In der nördlichen Fläche 1 wird der ehemalige Graben „ausgelöffelt“ – mit Hacke, Spaten, Schüppchen…. Dabei entdecken wir winzige vorgeschichtliche Keramikstückchen (von Urnen???) mit Brandspuren, außerdem Holzkohlespuren. In der Fläche 2 wird noch ein Längsschnitt ausgehoben.

4. Grabungstag, Donnerstag, 8.10.2015:

Heute wird so tief in allen 3 Flächen gegraben, dass man von den Hobbyarchäologen oft nur noch den Rücken sieht. Jörgs Tipp: Du musst dich auch zwischendurch mal gerade hinstellen und dich schütteln! Merkst du deine Bandscheiben noch? - Jede einzelne!

Ein weiterer Querschnitt in Fläche 1 gibt ein sauberes Profil: Ein U-förmiger Graben, der über der Rheinweißschicht in den Sand gegraben wurde. Darin, ebenfalls U-förmig, eine feste, helle, lehmartige Schicht mit kleinen kalkigen Einsprengseln. War diese Schicht menschengemacht oder war Schlamm in den Graben gespült worden? Irgendwann ist auch der Rest des Grabens – auf natürliche Weise – mit dunkelbraunem Lehm verfüllt worden. Es fanden sich keine Spuren einer Stein- oder Palisadenumrandung.

Ein in Stockstadt wohnendes terraplana-Mitglied besucht die Grabung und entführt uns für eine Stunde auf einen anderen Acker, auf dem er vorgeschichtliche und römische Scherben gefunden hat. Interessant!

5. Grabungstag, Freitag, 9.10.2015:

Ein Blick in die Zeitung: Im Riedecho ist der Terraplana-Grabung ein großer Artikel gewidmet! Heute werden die Grabenquerschnitte in Fläche 1 und 2 genau ausgemessen und auf Millimeterpapier aufgezeichnet, dann mit Buntstift koloriert.

Mittags schon können wir die Geräte einpacken, den Bauwagen säubern, Schlüssel und Funde abliefern…. Bald kommt der Bagger und schiebt wieder alles zu. Im nächsten Jahr zeigt das Luftbild an dieser Stelle einen gestörten Kreisgraben – aber das Getreide wird wunderbar wachsen, der Boden ist jetzt tiefgründig locker!

Text: Brigitte Schmidt

Fotos: Dennis Braks, Jürgen Kraemer, Peter und Brigitte Schmidt