Zur dritten Station der History Tour von MdB Gerold Reichenbach waren am 28.08.2016 viele an Geschichte interessierte Bürger und etliche terraplana-Mitglieder an den südlichen Ortsrand von Wolfskehlen (Kreis Groß-Gerau) gekommen, wo einst die Niederungsburg „Neu-Wolfskehlen“ in einer ehemaligen Neckarschleife am heutigen Scheidgraben stand.

Zeichnung: Jörg Lotter

Zunächst stellte Ursula Fraikin vom Heimat- und Geschichtsverein Wolfskehlen das historische Umfeld sowie die Geschichte der Herren von Wolfskehlen vor. Urkundlich nachweisbar ist als erster ein Ger(h)ardus de Wolfskehlen, der 1184 bis 1192 genannt wird und Vogt des Klosters Eberbach in Leeheim war. Sein Sitz war die Niederungsburg Alt-Wolfskehlen, die einst im südlichen Haken des Rallbruches lag in der Nähe des heutigen Hofguts „Burghof“. Sie war als sogenannte Motte ausgeführt, die aus der auf einem künstlichen Erdhügel errichteten Kernburg oder Hochburg sowie einer ebenfalls durch Graben und Palisaden geschützten oder auch unbefestigten Vorburg bestand.

Die beiden ältesten Söhne des Gerardus behielten dann die alte Burg, die weiter "Stammsitz" des Geschlechts blieb, während zu Beginn des 13. Jh. drei der jüngeren Söhne mit „Neu-Wolfskehlen“ gemeinschaftlich einen neuen Rittersitz erbauten, der in der sumpfigen und von einem Wasserlauf durchströmten Altneckarschleife als eine Art „Wasserburg“ ausgeführt war und 1252 erstmals urkundlich erwähnt ist. In diesem Zeitraum hat der Ort Wolfskehlen, der ursprünglich „Biblos“ hieß, den Namen seiner Burgherrschaft als Ortsnamen übernommen. 1252 verkauften die Herren von Wolfskehlen die Niederungsburg Neu-Wolfskehlen an den Erzbischof von Mainz, hielten aber weiter Nutzungsrechte. Allerdings war der Burg kein langes Leben beschieden. Sie wurde vermutlich schon 1301 im Zuge einer Fehde zwischen dem Erzstift Mainz und dem deutschen König Albrecht zerstört. Gleichzeitig fiel es den Herren von Wolfskehlen immer schwerer, sich der Grafen von Katzenelnbogen zu erwehren, die zunehmend in ihre Grafschaft eindrangen und sich dort Besitz und Rechte aneigneten. Als Letzter seines Geschlechtes starb Hans von Wolfskehlen 1505. Seine mutmaßliche Tochter Barbara von Wolfskehlen (1501–1545), deren Mutter bereits aus dem Geschlecht der Freiherren von Gemmingen entstammte, heiratete im Jahr 1518 Eberhard von Gemmingen zu Bürg, wodurch die Familie von Gemmingen Besitz in Wolfskehlen erlangte und dort die Reformation einführte. Schließlich 1579 trat Kurmainz seine Rechte an die Landgrafen von Hessen ab, die bereits zuvor die Besitzungen der im Mannesstamm ausgestorbenen Katzenelnbogener übernommen hatten. Nördlich der Burg lag die sogenannte „Hofstatt“, der dazugehörige Wirtschaftshof, der wohl weiter existierte und von dem noch heute Teile in der alten Bebauung zu erkennen sind. Durch einen urkundlichen Übertragungsfehler wurde daraus der heutige Flur- und Straßenname „In der Hochstadt“.

Ursula Fraikin berichtete, dass in späterer Zeit auch ein Teil des Burghügels der Motte Alt-Wolfskehlen abgetragen und zur Verfüllung von „Moorlöchern“ zwecks Gewinnung von Ackerland genutzt wurde. Dabei erhielten die bei den Arbeiten eingesetzten Bauern das Recht, das so gewonnene Gelände von der Landesherrschaft zu kaufen.

Jörg Lotter vom archäologischen Verein „terraplana“ berichtete anschließend über die archäologischen Untersuchungen des Burgplatzes. Obwohl die Lage bei den alten Wolfskehlern bekannt war, und Ältere berichteten, dass sie noch an der „Burg“ gespielt und dort auch noch einige Steinquader gesichtet hätten, galt sie gegenüber der Landesarchäologie als unbekannt. Erst nach Hinweisen auf einen kastellartigen Bau und der Bitte des Landesamtes an Herrn Lotter, den Platz auf Hinweise auf ein mögliches römisches Kastell zu untersuchen, kam es zur archäologischen Begehung, die allerdings mittelalterliche Scherben zum Vorschein brachten.

Zeichnung: Gerold Reichenbach

Daraufhin wurde die Untersuchung des Platzes in das Projekt „Niederungsburgen“ des archäologischen Vereins „terraplana“ aufgenommen und im Juli 2014 wurden die ersten geophysikalischen Untersuchungen vorgenommen. Mit Hilfe archäologischer Flugprospektion LIDAR, bei der noch Höhenunterschiede von wenigen Zentimetern erfasst werden, weil selbst Bäume und Sträucher später am Computer einfach weggerechnet werden können, konnte eine quadratische Kastellanlage mit einfachem Wohnbau und einem weiteren Bau sowie einem Turm im Nordwesten lokalisiert werden. Zusammen mit terraplana-Mitgliedern und einer Fachfirma wurden die Befunde auf einer Teilfläche von 4000 m² mithilfe geophysikalischer Tiefenmessungen ergänzt.

Dabei zeichneten sich die Umrisse der Umfassungsmauer und Gebäudestrukturen allerdings nicht, wie bei im Boden erhalten gebliebenen Fundamentresten üblich, scharfkonturig, sondern eher verschwommen ab. Die Erklärung dafür ist darin zu finden, dass in späteren Zeiten, wie oft üblich, die Mauern und Gebäudeteile der Ruine Stück für Stück abgetragen und als Baumaterial an anderer Stelle wieder verwendet wurden. Dabei wurden mit der Zeit wohl auch die Fundamente ausgegraben und einer Wiederverwendung zugeführt. Die unscharfen Bodenstrukturen rühren von dem beim Abbruch liegengeblieben Mörtel, für den es keine Verwendung gab. Erbaut waren die Gebäude und die Umfassungsmauern in dem sumpfigen Untergrund auf einer Gründung aus Eichenpfählen und einem darüber liegenden Pfahlrost.

Adelheid Reinhard (Heimat- und Geschichtsverein Wolfskehlen) berichtete ergänzend, dass vor Jahren bei Trockenheit einer dieser im nassen Untergrund erhaltenen Pfähle auf der heutigen Wiese zum Vorschein kam und man ihn zusammen mit dem Landwirt geborgen habe. Von den Gebäuden der wohl vor der eigentlichen Burg gelegenen Vorburg lassen sich in den geophysikalischen Profilen allerdings keine Hinweise finden. Dies lässt sich damit   erklären, dass diese wohl nur in Holz und Lehm (Fachwerk) ausgeführt waren und vergangen sind. Im Mittelalter war es noch nicht wie in späterer Zeit üblich, dass Fachwerkbauten auf Steinfundamente aufgesetzt wurden, sondern die eichenen Schwellbalken lagen direkt auf dem aus gestampftem Lehm bestehenden Boden.

Abschließend gab „terraplana“-Vorstandsmitglied Brigitte Schmidt anhand von Scherbenfunden und Darstellungen historischer Bekleidung einen Einblick in das Leben der damaligen Burgbewohner. Gekocht wurde mit einfachem Tongeschirr, der sogenannten grauen Ware, aus der auch ein Teil der Trinkbecher und Schüsseln bestand. Daneben gab es Schüsseln, Löffel und Becher aus Holz. Dies gilt wohl Großteils auch für die Herren der Wolfskehler Burgen, die vielleicht noch einige Gefäße aus Metall oder gar Glasbecher besaßen. Nur die ganz hohen Adelsfamilien konnten sich in größerem Umfang edles Tafelgeschirr leisten.

Die Bekleidung bestand in der Regel aus einer so genannten „Cotte“, von der sich heute noch das Wort „Kutte“ oder „Kittel“ ableitet. Bei der „arbeitenden Bevölkerung“ war diese kürzer, etwa bis zur Höhe der Knie, bei höheren Herren auch länger und bei Frauen bis zum Boden. Das langärmlige Kleidungsstück war nach unten hin weit geschnitten, bei Reitern vorne und hinten geschlitzt, und wurde im Halsausschnitt entweder von einer Brosche oder durch einfache Schnürung zusammengehalten. Darunter trugen die Männer Beinlinge, die mit Schnüren an einem Leibgürtel befestigt waren, die sogenannten „Hosen“. An den Füßen trug man außerhalb des Hauses über den Beinlingen Schuhe. In der Regel waren die Stoffe aus Leinen oder Wolle gewebt, und die Kleidung je nach Stand besser ausgeführt und auch mit Borten oder Stickereien geziert. Bei Bauern und ärmeren Untertanen waren die Stoffe entweder naturbelassen oder in einfachen Grau- und Brauntönen gefärbt. Träger höheren Standes konnten sich auch bunt gefärbte Stoffe leisten, vom Blau aus Färberwaid und Indigoblau über andere teure Farben wie Rot (Krappwurzel und Kermeslaus).

 

Text: Gerold Reichenbach

Fotos: Peter Schmidt